Rassismus ist kein Spiel

„In der Schweiz gibt es keine Rassisten. In der Schweiz sind alle anständig und nett. Wir sind fürsorglich und helfen gerne in Not geratenen Menschen. Aber wir sind stolz auf unsere Unabhängigkeit. Wir lassen uns nicht vorschreiben, was wir zu denken haben oder was wir sagen wollen. Es ist unsere Meinung und diese auszusprechen lassen wir uns nicht verbieten. Weder von denen in Bern noch von irgendwelchen Leuten im Ausland. Schliesslich sind wir hier in der Schweiz und da sind wir die einzigen die etwas zu sagen haben.

Die ‚Anderen‘ sollen sich uns anpassen. Die sind nicht von hier, nicht aus der Schweiz. Natürlich haben wir nichts gegen die, aber sie sind nun mal nicht wie wir. Sie sind anders. Entweder sie schauen immer nur aufs Geld oder sie wollen unseres. Sie nutzen unsere Sozialsystem aus, bringen uns um unsere Jobs oder bestehlen uns. Gelegentlich überfallen sie auch mal eine Tankstelle. Wir haben nichts gegen die, aber die sind nun mal anders. Anders als wir. Aber wir verurteilen diese Menschen nicht, schliesslich können sie ja nichts dafür. Die sind von Geburt an anders. Es sind ihre Gene. Es liegt ihnen im Blut. Sie sind von Geburt aus geld- und raffgierig und stehlen unsere Autos. Sie lügen und betrügen, um an unsere IV-Gelder zu kommen. Sie schlagen ihre Frauen und zwingen sie unter die Burka. Sie sind gewalttätig und bedrohen uns. Sie möchten uns und unsere Lebensart zerstören. Unsere Freiheit vernichten und uns ihren Glauben aufzwingen. Aber wir erkennen Sie. Die einen haben krumme Nasen und immer Geld in den Taschen oder sie sprechen gebrochen Deutsch und kommen vom Balkan, aus dem Osten oder aus Afrika. Die anderen tragen lange Bärte und Kopftücher.

Wir haben nichts gegen diese Menschen. Sie können ja nichts dafür. Und wir helfen doch immer, wir in der Schweiz. Weil wir gute brave Menschen sind. Nein, wir sind keine Rassisten, aber wir sagen immer unsere Meinung, egal was die Folgen sind.“
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Vor kurzem habe ich mir „Andorra“ von Max Frisch im Schauspielhaus Zürich angesehen. Die Thematik ist aktueller denn je. In den letzten Jahrzehnten hat sich nichts, aber auch gar nichts geändert. Es sind heute wie vor 50 Jahren dieselben Stereotypen, mit welchen unterschiedliche Gruppen in der Schweiz ausgegrenzt und diskriminiert werden. Aber deswegen sind wir doch keine Rassisten. Oder doch?

Unsere Tageszeitungen und Fernsehsender berichten uns täglich vom Geschehen in der Welt. Jeden Tag wieder von neuem dieselben alten Stories. Die Qualität der journalistischen Tätigkeit ist bedenklich. Ohne Hintergrundwissen schreiben viele Schreiberlinge drauflos, nicht einmal um Objektivität bemüht. Schlimmer als die mangelnde Qualität der Artikel sind aber die Kommentare der Leser. Zeitungen wie der Tagesanzeiger bieten online eine Plattform für alle, die ihre unqualifizierten Kommentare abgeben wollen. Dabei wird ein unterschwelliger und offener Rassismus der Schreiber sichtbar, den diese selbst wahrscheinlich nicht einmal wahrnehmen. So sind die Juden in der Schweiz offenbar selbst Schuld am Antisemitismus, weil Israel im Gazastreifen Krieg führt. Die Araber sind alle Terroristen und Ost- und Südosteuropäer grundsätzlich alle kriminell. Es ist bedenklich, wie wenig wir unsere Vorurteile und die passenden Stereotypen hinterfragen. Die Auswirkungen unserer Passivität bei solchen rassistischen Vorurteilen sind gefährlich. Die rassistischen Drohbriefe an Bürger jüdischen Glaubens oder die offene Anfeindung anderer gesellschaftlicher Gruppen sind die Auswirkungen der Saat, der wir durch unseren unterschwelligen und passiven Rassismus, oder durch unsere Ignoranz den Boden bereitet haben.

Es wird Zeit, dass wir offensiv gegen diesen Rassismus vorgehen. Es reicht nicht mehr, wenn wir einfach schweigen. Wir müssen darüber sprechen, diskutieren und streiten und uns nicht einfach abwenden, nur weil es uns scheinbar nichts angeht. Lassen wir nicht zu, dass Angst, Hass und Vorurteile unsere Gesellschaft langsam aber sicher zerstören. Lasst uns mit Worten und Taten gegen dieses Geschwür vorgehen.